Seattle 2007 - 2

Wir steigen aus, sofort sind wir umschwärmt. Nicht von anderen Pilzlern sondern von hunderten von Stechmücken. Meine Gegenmittel liegen natürlich in meinem Auto und nicht in Hannas. Sie aber hat vorgesorgt. Mit ihrem Antimückenmittel sprühe ich mir die Hände nass. Es gibt nicht schlimmeres, als fotografieren zu wollen und die Mücken schlagen in dem Moment zu.

Erst kann ich mich nicht entschließen den Wald rechts oder links vom Weg in Augenschein zu nehmen. Rechts ist mir doch zu viel Unterbewuchs und ich wende mich links der Böschung zu. Morchelig sieht es für mich hier in keinem Fall aus. Der sandige Untergrund und viel Gestrüpp lässt mich schlecht vorwärts kommen. Da vorne schimmert was Weißes im Hang? Bei näherem Hinsehen entpuppt sich das Etwas als vergammelter Steinpilz. Ich bin entsetzt! Haben wir den falschen Zeitpunkt! “Hanna! Schau mal!” Hanna denkt sich nichts dabei, sie weiß ja, es soll Steinpilze geben. Sie hat inzwischen auf der anderen Straßenseite kleine Risspilze entdeckt. Ich fotografiere sie und umrunde die Kiefer unter der sie stehen. Was drückt denn da aus dem Boden? Ein sandiger Fleck mit einer leichten Erhebung! ich buddle das “Ding” aus. Ist das ein Steinpilz? Diese Farben sind mir fremd. Es könnte auch ein Gallenröhrling sein, oder was weiß ich was hier wachsen kann. Hanna ist begeistert; ja es ist ein Steinpilz!

Aha, so sehen hier die Steinpilze aus und von so tief wachsen sie, dass man ihre Stiele nicht sehen kann. Aber nun habe ich den Bogen raus und weiß wie ich gucken muss. So fallen mir auch Pilze auf, die nicht zu sehen sind, nur der Boden hat sich gewölbt. Deckel abheben, da steht der nächste.

Schon bin ich dem Pilzrausch verfallen. Immer wieder schweift mein Blick nach oben, wo ist die nächste Kiefer? Zu deren Fuß werde ich fündig, ich wandere von Hubbel zu Hubbel, aber auch von Kappe zu Kappe. Manchmal haben sie sich die Pilzhüte durch die harte Bodenschicht geschoben.

Wenn man die Hüte der Steinpilze vom Sand befreit, sind sie nicht mehr rosa angehaucht, sondern einfach rot. Ich bin mir sicher, dass ich es hier mit einem Kiefernsteinpilz zu tun habe. Und dann kommt die Überraschung. Nicht weit vom Steinpilz eine Morchel, leider schon ein älteres Exemplar, sie sieht schon recht ungenießbar aus. Aber der Standort haut mich doch um, hier mitten im Nadelmischwald?? Trotzdem also nicht nur nach Hubbels und braune Kappen denken, sondern auch an gekräuseltes, dunkelbraunes, morcheliges!

Die harte hochgedrückte Bodenschicht beinhaltet aber nicht nur Steinpilze, sondern auch Korallenpilze. Sie sind bis zu 30 cm im Durchmesser. Morcheln stehen da anders! Entzückt über diesen Fund umschleiche ich dieses Exemplar, aber noch kann ich keine zweite finden.

Kleine Rißpilze, die Hanna zum Bestimmen mitnimmt, gelbe Knollenblätterpilze wachsen bereits. Wie mag dieser Wald im Herbst aussehen? Zur Zeit ist es knochentrocken! Aber unter der Betonschicht, sprich Waldoberfläche, scheint sich die Feuchtigkeit gut zu halten.

Mit ihrer Kraft drücken die Pilze große Flächen aus dem Boden. Ist der Boden zu hart, können sie aber auch zerbrechen. Manchmal drücken ganze Familien, Gemeinsamkeit macht stark! Immer wieder sitze ich in Steinpilzringen, die sich um die Bäume ziehen. Endlich wird mir bewusst, dass ich unglaublichen Hunger habe. Meine Güte die Hanna, wo ist sie denn? Ich muss zum Auto! In meinem Pilzfieber bin ich weit gelaufen, habe mich aber immer wieder an der Straße orientiert. Einen alten Blasigen Becherling nehme ich noch mit und diese wunderschöne Orchidee, Trillium heißt sie.

Unter einem riesigen Lebensbaum steht das Auto. Hanna hat sich in zwischen den Morcheln gewidmet und ein außerordentlich großes Exemplar geerntet. Eben ist sie beim Steinpilz reinigen. Sie hat sich schon gewundert, dass ich nicht verhungert bin. Gierig mach ich mich über die mitgebrachte Brotzeit her. Durst? Oh ja Durst, eine Flasche Wasser muss daran glauben.

Eine Frau aus Hannas Pilzverein treffen wir, sie sagt die Morcheln sind seit einer Woche vorbei! Sicher? Hanna staunt über meine Beute. So viele Steinpilze und noch sechs Spitzmorcheln! Aber es ist Zeit heim zu fahren. Es stehen ja 100 Meilen an. Allzu gerne wäre ich ja noch 3 Stunden rumgelaufen. Aber müde bin ich schon. Kein Training nach einer Woche im Autositzen!

Auf den Terrassentisch drapieren wir unseren Fund. Nach dem Fotoshooting ist Pilze putzen angesagt. Da ich sehr pingelig bin, das war ich im Wald schon, bleibt von der Beute etwa zwei Drittel. Ich esse halt gerne Pilze und keine laufenden Proteine.