Seattle 2007 - 4

Schmale graue Streifen werfen schmales graues Licht ins Zimmer, ich erfasse dieses Licht mit minimalem Augenaufschlag. Kein Licht zum Aufstehen, sicher eine verirrte Straßenlaterne. Vorsichtig tastet sich ein Gedanke in das halbwache Gehirn: Vielleicht sollte ich mal auf die Uhr schauen? Etwas widerwillig dreht sich mein Kopf Richtung Nachttisch. Durch halbgeöffnete Lider sagt der Wecker: 5:06 Uhr. Daher also das graue Licht. Das ist eine gute Zeit um noch eine Stunde ins Reich der Träume abzuwandern.

Unglaublich, wie viele Gedanken das Gehirn plötzlich entwickelt. Waldbilder tauchen auf, Berge am Stevenspass, bunte Blüten der Fingehüte tanzen am Straßenrand, freie morgendliche Straßen, leicht feucht überhaucht liegen sie  im Dämmerlicht, über das ganze schieben sich Bilder von Steinpilzen und Morcheln. Traum oder Wachzustand?  Ein Blick zur Uhr 5:11 Uhr. Ich bin wach! Also kann ich auch aufstehen, der Weg ist weit bis Steinpilz und Verwandtschaft. Erst durchs Bad, dann in die Küche zum Frühstück bereiten. Ich bewege mich leise und langsam, aber gezielt. Hanna will ich um diese Unzeit nicht wecken. Zwei Minuten vor 6 Uhr, ich starte mein Auto. Alle vorbereitete Habe ist an Bord inklusive Brotzeit und genug Getränke. Gestern studierte ich noch Landkarten wie ich aus der Stadt heraus komme, ohne über den Hwy5 fahren zu müssen. Den Plan habe ich im Kopf; gleich bei der ersten Ampel biege ich falsch ab. Das ist aber nur ein kleiner Umdreher, dann liege ich... fahre ich richtig.

Snohomish, Monroe, Goldbar, Index, Skykomish, es war mir nicht bewusst, dass so viele Meilen zwischen den einzelnen Orten liegen. In Goldbar steht ein großes Schild: PASS OPEN. Wenn da nun CLOSED gestanden hätte, welch ein Drama! Die Pilzbilder im Hinterkopf werden immer dichter. Es sind nicht viele Autos unterwegs, also drücke ich auf das Tempo. Der Stevenspass ist fast durchweg 4-spurig, also zeigt mein Tacho oft 90 an.

Bei Meile 84 muss ich abfahren, es ist alles gut ausgeschildert. Zwei mal rechts fahren und dann links, das Bild von Google Map ist fest in meinem Kopf. Da ist die Brücke mit dem Metallhandlauf. Nun muss der kleine hölzerne Bachübergang bald kommen. Huja, ich bin zu schnell 55 Meilen statt 35! Ich drücke auf die Bremse, zum optimalen Zeitpunkt. Inmitten der Straße steht ein Hirschtier. Wir schauen uns an, es wartet geduldig bis ich die Kamera schußbereit habe und abdrücke. Gemächlich macht es mir den Weg frei. Hübsch vorsichtig und bremsbereit lege ich meine Fahrt fort. Endlich nach 12 Meilen überquere ich die Holzbrücke, jetzt weiß ich sicher, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Bis zum Parkplatz ist es ein Katzensprung. Außer mir ist da niemand. So mag ich das. Nicht so ganz alleine bin ich, aber dagegen kann man Mückenspray benützen. Ich schnalle mir meinen kleinen Rucksack um, klemme den Pilzkorb von Hanna unter den Arm, los geht es.

Wie die Steinpilze hier wachsen, das weiß ich ja bereits. Aber als ich eine abgehobene Bodenplatte von etwa 60 cm Länge sehe, finde ich es für einen Pilz zu groß. Auf Verdacht halte ich die Kamera in den aufgebrochenen Boden. Das Bild lässt mich die Bodenplatte hochkippen. Ein 1 kg Steini lächelt mich an. Dieses Teil verstaue ich gleich im Kofferraum. Solche Seltenheiten sollte ich nicht im Korb zerdrücken.Becherlinge Korallen und Blumen machen den Waldboden bunt. Lila Trillium! Heute haben die “Maiglöckchenblätter” schöne weiße Blüten!

Nichts stört meine Steinpilzsuche, es gibt zwar meckernde Eichhörnchen und die Müllabfuhr dröhnt mal über die Straße, ansonsten bleibe ich alleine mit der Natur. Steinpilz um Steinpilz wandert in meinen Korb. Fast erschrocken stehe ich vor Speisemorcheln! Sie sagen mir, dass die Morcheln hier bei den jungen Weißtannen stehen. Nur 6 Stück kann ich trotz gründlicher Suche ernten, sie werden heute die Krönung meines Unternehmens sein. Auch zwei Spitzmocheln haben sich in diese späte Zeit verirrt. Dieses Waldstück, das ich im Ansatz beim letzten Besuch kennen gelernt habe, wird mir nun begrifflich. Ich weiß die Ecken in denen Steinpilze stehen oder Morcheln oder wo “tote Hose” ist.

Der Bereich der “toten Hose” hat mich sehr viel Zeit und Anstrengung gekostet. Hinter jeder Kiefer, die hier etwas dünn gestreut sind bin ich hergelaufen und darum herum. Das waren Kilometer für nichts. Aber mein Korb ist voll. Zum Heimweg orientiere ich mich an den Schildern. Ziemlich fertig bin ich, viele Ecken bin ich abgelaufen, aber nur so kann mann einen Wald erkunden, aber wieso eigentlich? Komme ich hier jemals wieder her? Um 5 Uhr lande ich bei Hanna.

Mein Fund läßt sie überlegen: Wir waren Freitags dort, heute ist Montag, dazwischen war Wochenende, da gehen schließlich andere Pilzler und heute 5 kg? Ganz zu schweigen von den Morcheln! Nach dem Abendessen heißt es Pilze putzen und zum Trocknen aufschneiden. Rudy begleitet das mit vielen: Mushroom, Mushroom!

Fix und alle bin ich, aber das Glück über meinen Fund läßt mich nicht müde sein.

Die Steinpilze landen im Trockengerät. Die Morcheln schneide ich in Ringe und friere sie ein. Sie sollen für Hanna eine gute Speise werden. Morcheln im Bierteig!