Seattle 2007 - 9

Wir haben gut geschlafen, ich glaube nicht, dass ich von Morcheln geträumt habe. Gestern vertilgten wir unsere mitgebrachten Speisen, also steht ein gutes Frühstück an. Rasch verpacken wir unsere Utensilien, Hanna meldet uns ab und ich bestücke das Auto. Im “SitinsBull” an der leeren Mainstreet, es sieht irgendwie aus wie Sonntag, kein Mensch ist zu sehen, es ist aber Mittwoch, lassen wir uns von der Wirtin verwöhnen. Ein furchtbares Frühstück bestelle ich. Der Kaffee geht ja noch aber dann ein Pfannkuchen mit Sirup. Hanna vertilgt gleich Bratkartoffel, ich brächte sie nicht runter!

Wieder fahren wir in Richtung der verbrannten Bäume, wir haben zwar eine Karte von den Rangers bekommen, aber da sind 700 Quadratkilometer verbrannter Wald drauf! Und ich bin mir beim besten Willen nicht sicher auf welcher Straße wir uns bewegen. Wir fahren eher nach Sicht, das heißt jede Abzweigung gut im Gedächtnis zu behalten. Es gibt viele interessante Waldstücke, die allerdings in der gnadenlos brennenden Sonne liegen. Ich hätte gerne was mit Schatten. Endlich entdecken wir eine solche Ecke. Wir parken das Auto. Bevor es einen steilen Hang Richtung Osten abwärts geht, stehen oben im Gras drei Morcheln. Meinen kleinen roten Rucksack, bestückt mit Kamera, einer kleinen Flasche Wasser und Pfefferminzbonbons und einen Stoffbeutel nehme ich mit. Ein Korb wäre in dem steilen Gelände permanent am Abstürzen. Der Hang ist gut, die Morcheln etwas klein, da muss vor einigen Tagen schon einer durch sein, aber es gibt Nachwuchs und das nicht zu schwach. Den Gray Morells gilt mein Augenmerk und ich finde auch welche! Wenn ich mich von der Ansicht her an verkohltem Holz orientiere fallen sie sofort auf. Wieder bestätigt sich meine Meinung, dass Morcheln immer eine Struktur oder Farbe ihrer Umgebung kopieren. (Inzwischen weiß ich, dass diese Grauen Morcheln nur auf Brandstellen wachsen!)

Viele Formen und Farben haben die Pilze trotzdem, manche kommen wie Speisemorcheln rüber. Ganz unten am Bach entlang stehen sehr große Stücke, da ist mein Vorgänger, von dem ich immer wieder Fußstapfen sehe, nicht sehr genau gewesen. Nur gut, dass die Mücken hier selten sind.

Wegen der Mücken hat mir Hanna eine Bluse geborgt, denn alle meine Waldpullis hätten mich hier umgebracht. Durch das Auf- und Abstapfen im Hang beginne ich so richtig zu glühen. Leider kann ich unten nicht an den Bach, der Hang fällt steil zum Wasser, wie gerne hätte ich mir die Hände und das Gesicht gekühlt. Fotos zu machen ist eine aufwendige Angelegenheit. Rucksack abstreifen, Fototasche auspacken, Kamera herausholen, nach dem Bild wieder alles zurück. Ich traue mich nicht mit der Kamera in der Hand zu laufen. Einmal wollte ich eine Morchel abschneiden, der Schnitt ging voll in die Luft, denn ich war einen halben Meter im Hang abgerutscht! Plötzlich komme ich in nicht verbranntes Gelände, nicht eine Morchel steht mehr, verrückt. Ich kraxel aus dem steilen Hang und suche das Auto und Hanna.

Keine 50 Meter muss ich zurück. Hanna hat das Auto in den Schatten gestellt. Sie selbst kann sich in solch unwegsamen Gelände nicht bewegen, die hat eine größere Wirbelsäulen OP hinter sich und muss aufpassen wo sie hintritt. Wir entleeren den Stoffbeutel in den Korb, ich merke schon, die Menge findet Hanna nicht sehr überwältigend. Sie selbst hat oben an der Kante zwei Morcheln gefunden und will das Gelände weiter absuchen, da, wo es eben ist.Trotzdem will ich abermals in den Steilhang, diesmal von weiter rechts. Wieder geht es unter größter Anstrengung rauf und runter und immer wieder Morcheln.

Zu steil ist der Hang beim ersten Versuch. Es gibt hier keine Möglichkeit sich mit der Hand festzuhalten. Die verbrannten Äste und Stämme können jederzeit wegrutschen. Klar fasse ich immer wieder dran, bis ich wie ein Kaminfeger aussehe, aber den einzigen wirklichen Halt geben nur die Füße oder die Hände auf dem Boden. Becherlinge und Lorcheln begegnen mir und Morcheln. Nach einer Stunde im Hang sehe ich eine gekappte Morchel, die kenne ich, da bin ich vorhin beim ersten male in den Hang eingestiegen, also bin ich hier durch. Also nichts wie raus, ich bin total fertig. Jedes Gelenk spüre ich. Zurück bei Hanna fülle ich meinen Wasserhaushalt auf. Hanna bewundert mich, dass ich für das Gelände genügend Kraft habe. Die ist jetzt aber weg. Wir fahren noch einen weiten Weg, sehr hoch in abgebrannte Gebiete. Leider ist es nicht mehr möglich in den Wald einzusteigen.